Es ist gut, dass angesichts der Greuel im Nahen Osten eine intensive Diskussion über Israelis und Palästinenser ausgebrochen ist und intensiv geführt wird. Es ist gut, weil wir das Thema endlich einmal ernst nehmen. Nicht gut ist, dass die allgemeine Grundhaltung bei dieser Diskussion zu sein scheint, man müsse für eine Seite Partei ergreifen, sich, wie man heute sagt, „positionieren“. Dazu gehört auch der dumme Vorwurf, man würde, wenn man für die Beschwerden einer Seite Verständnis zeigt, damit ihr Handeln „entschuldigen“. Entschuldbar ist in diesem grauenhaften Geschehen gar nichts, aber das hilft uns ja nicht weiter. Ich will deshalb hier sagen, dass uns als einer Menschenfamilie Parteinahmen, egal für welche Seite, nicht weiterhelfen. Weiterhelfen würde uns nur ein Friedensprozess, der vom gemeinsamen Interesse beider Seiten ausgeht, die Greuel und das furchtbare Sterben zu beenden. Der erste Schritt dazu ist aber, jede Seite erst einmal zu verstehen. Erst dann können sie aufeinander zugehen.

 Solange entweder die Leiden der Palästinenser oder die Leiden der Israelis geleugnet werden, mit dem Ziel, eine Seite als die Guten, die andere als die Bösen hinzustellen, wird der Konflikt angeheizt. In dieser Verstrickung wird Gewalt immer Gegengewalt erzeugen. Wir brauchen die Sichtweise einer Meta-Ebene, die nach der Gandhi'schen Konfliktlogik die verfeindeten Seiten als im Konflikt unausweichlich aneinander gebunden begreift und von dieser Einsicht aus die Schritte beginnt, die das gemeinsame Interesse an einer Lösung betonen und sich an einer möglichen Lösung orientieren – so aussichtslos das scheinen mag. In den Worten Mahatma Gandhis: „Versuche die wesentlichen Interessen zu formulieren, die du und dein Gegner gemeinsam haben, und versuche, auf dieser Grundlage eine Zusammenarbeit mit deinem Gegner aufzubauen.“ (Siehe zum Beispiel das Buch des Friedensforschers Stellan Vinthagen, „Eine Theorie der gewaltfreien Aktion“, https://d-nb.info/1141182785/34)

Gewalt kann nicht beendet werden durch Gewalt. Gewalt kann nur durch Versöhnung beendet werden. Wenn der Wunsch nach dem Ende der Gewalt also ernst gemeint ist und nicht im Dienste einer Hasspropaganda gegen die jeweils andere Seite missbraucht wird, müssen beide Seiten aufeinander zugehen. Das erste dabei wären vertrauensbildende Gesten. Israel könnte seine Bodenoffensive aussetzen und seine Bombardierungen stoppen; die Hamas könnte ihre Raketenangriffe stoppen und die Geiseln freilassen. Die Situation könnte sich erst einmal beruhigen, statt weiter zu eskalieren. Dazu müsste wohl als erstes über „back channels“ Vertrauen geschaffen werden, vor allem in dem Sinne, dass ein Entgegenkommen einer Seite von der anderen nicht ausgenutzt wird. Leider ist das in Nahost allzuoft passiert; die Schaffung von Vertrauen würde also auch sehr von der persönlichen Integrität und Glaubwürdigkeit der jeweiligen Verhandler abhängen.

Ich weiß, dass das fast aussichtslos ist; aber dadurch wird es ja nicht falsch. Und es wäre schön, wenn wenigstens die öffentliche Diskussion diese Meta-Ebene der Konfliktlogik erreichen würde und damit endlich ein öffentliches Klima entstehen würde, in dem der so schrecklich notwendige Friedensprozess in Gang kommen könnte.