Kennen Sie das: Sie lesen ein Buch, dessen Thema Ihnen wichtig ist, und dann ärgern Sie sich über die Art und Weise, wie der Autor darüber schreibt? Heute nehme ich mir ein Buch vor, bei dem mir genau das passiert ist: Frido Manns "An die Musik".

In seiner Autobiografie „Der Wendepunkt“ erzählt Klaus Mann, Sohn von Thomas Mann, wie er einmal seinen jüngsten Bruder Michael („Bibi“) besucht und zum ersten Mal dessen neugeborenen Sohn Fridolin in der Wiege erblickt. Klaus macht sich Gedanken, wie es dem Kleinen wohl ergehen wird (es ist mitten im Zweiten Weltkrieg).

       Nun, wer Frido Manns Buch „An die Musik. Ein autobiographischer Essay“ liest, weiß Bescheid. Fridolin hat den Weg gemacht, der in seinem großbürgerlichen Milieu vorgezeichnet war: Beste Erziehung, Privatunterricht bei hochkarätigen Musiklehrern (Klavier, Orgel), Studium von Musik, aber auch Theologie und Psychologie, kosmopolitischer Lebenslauf mit Stationen auf der ganzen Welt. Eine Selbstverständlichkeit für ein Mitglied der weitverzweigten „family of Mann“.

       In seinem Buch breitet F. M. durchaus interessant und lesenswert die Erkenntnisfrüchte seiner jahrzehntelangen Musikpraxis und Liebe zur Musik aus. Seine Gedanken zeugen von einem tiefen Musik-Erleben, einer an der Klassik geschulten, auch körperlichen Sensibilität und darüber hinaus auch von einer klaren politischen Parteinahme auf Seiten einer engagierten Humanität. Auch zu Jazz und Pop sowie zum Vitalitätsverlust der klassischen Musik weiß er sehr viel Richtiges zu sagen. Das ist gut und schön.

Schade nur, dass man all dies Schöne und Gute dem Buch mühsam entreißen muss. In einer stilistischen Schwerfälligkeit ohnegleichen, die steif und bürokratisch anmutet, wird in schlimmstem Beamtendeutsch fast jeder Gedanke, fast jede Beschreibung syntaktisch dermaßen verschachtelt und verschnürt, dass man ständig nur mit Entziffern und Auspacken beschäftigt ist und überhaupt kein Lesefluss und Lesegenuss zustande kommt. Und das, obwohl Frido Mann sich von einem Musikredakteur hat beraten lassen – offensichtlich mit wenig Erfolg. Eine Kostprobe:

 

       „Hier kurz erwähnt sei eine eigene Erfahrung nach der Einstudierung und Aufführung unter anderem von Mozarts kurz vor seinem beschwerlichen Wechsel nach Wien geschriebenen 'Sinfonia Concertante' für Violine, Viola und Orchester in Es-Dur, KV 364. Einer meiner Schwager spielte Geige, und ein Freund von ihm übernahm den Bratschenpart, begleitet von einem aus Liebhabern zusammengestellten, von mir dirigierten Kammerorchester im Rahmen einer Hausmusik bei meinen Schwiegereltern kurz nach meinem Wechsel vom Musikerberuf zum akademischen Theologiestudium.“ (S. 89)

 

       Von sowas bekomme ich Krämpfe. Weil man es nämlich auch so formulieren könnte, dass es Appetit macht, eingängig ist, Lust aufs Weiterlesen macht. Satz 1 hat 35, Satz 2 hat 39 (allerdings wesentlich längere) Wörter. Die Obergrenze für leichte Verständlichkeit ist da quantitativ längst überschritten – aber vor allem auch qualitativ, nämlich durch das, was Sprachguru Wolf Schneider „Klemmkonstruktion“ nennt: in das Objekt „von Mozarts... 'Sinfonia Concertante'“ reingrätschen und hastig ein „kurz vor seinem beschwerlichen Wechsel nach Wien geschriebenen“ reinklemmen, natürlich grammatisch längst ohne Überblick und demzufolge statt mit der korrekten Flexion des Partizipial-Adjektivs („...geschriebener ...“) mit einer falschen. Drei nominalisierte Verben auf -ung hintereinander – so schreiben Juristen, Beamte, Bürokraten, von mir aus, sollen sie, aber ein Essayist? Verben, an denen das Deutsche so reich ist, die Appetit aufs Lesen machen – bei F.M. sind sie Mangelware, es herrscht der steife, bürokratische Nominalstil, Wolf Schneiders zweite Stil-Todsünde. „Fortführung“, „Verpönung“, „Aufgipfelung“ (!), „Beethovens Umbenennung seiner ursprünglich Napoleon gewidmeten 3. Symphonie in Es-Dur zur 'Eroica'“, „...die sich aus der sich durch alle Sätze hindurchziehenden Verknüpfung von Themen aus der ursprünglich aus einem Satz bestehenden Urfassung des Werks ergibt“: Abschnitt für Abschnitt, Seite für Seite geht das so. Jedem dieser verschnürten Satzpakete muss man den Sinn mühsam entreißen. Alter, das nervt vielleicht.

       Fast eine Bagatelle die dritte syntaktische Verschnürungstechnik: die Genitivkette. Hier ein Beispiel, in Tateinheit mit den anderen Stilverbrechen: „Dass Beethovens Musik von der Freiheitsidee der Französischen Revolution und der Aufklärung und vom Grundgedanken des Einsatzes des einzelnen Individuums zum Wohl des menschheitsumgreifenden Ganzen geradezu beherrscht ist...“ ...wir wollen's nicht mehr wissen, sorry.

       Schuld an so einem Unglück ist sicher erst einmal der Autor. Aber dann muss man seinen Musikredakteur (Andreas Kunz) und die Herrschaften bei Diederichs und S. Fischer schon einmal fragen, was sie sich eigentlich dabei denken, unter der Bezeichnung „Essay“ so etwas Ungenießbares herauszubringen. Gibt es keine Lektoren mehr? Oder keine, die noch gutes Deutsch können? Hat dem guten Herrn niemand gesagt: „Sie, das ist schlechtes Deutsch, Sie tragen ja einen großen Namen, wollen wir das nicht mal lesbarer und attraktiver machen? Ihr Großvater war trotz seiner langen Sätze ein Zauberer, Ihr Onkel Klaus hat mitreißend geschrieben, Sie wollen doch ein Publikum erreichen und nicht so altväterlich steif, bürokratisch und humorlos rüberkommen?“

       So wirkt es nämlich leider, und das ist extrem ärgerlich und ein Bärendienst für sein Anliegen, nämlich, den Heutigen die Tiefe und Schönheit klassischer Musik nahezubringen.

       Dass er irgendwann noch philosophiert und versucht, das Wesen der Musik mit ein paar philosophischen Thesen zu erfassen, macht es nicht besser. Da hat er mal irgendwas von Chi, von Zen und östlicher Weisheit gehört („Es spielt und nicht man selbst“), ist dem aber denkerisch überhaupt nicht gewachsen und verwickelt sich dauernd in Widersprüche. Laut seinen Thesen soll der Spielende in der Lage sein, mit Musik als kosmischer Kraft eins zu werden - gleichzeitig behauptet Mann kategorisch, das sei unmöglich und nur ein Wunschtraum. Aber wenn es das gibt (dass „ES“ spielt und nicht man selbst), dann kann man nicht im gleichen Atemzug behaupten: „obwohl dies natürlich objektiv nicht der Fall ist“. So zieht er seiner eigenen Argumentation den Boden unter den Füßen weg und merkt es nicht einmal. Er hält dem Kind ein schönes Spielzeug vor die Nase, zieht es dann weg und sagt „Ätsch“. Und das nur aus denkerischen Unvermögen und trotz – oder vielleicht wegen? - seines Theologiestudiums.

       Jeder Konzertbesucher weiß, dass es sie gibt, diese Sternstunden des Einsseins mit der Kraft der Musik. Das Pop- und Rock-Genre zelebriert sie wie einen Gottesdienst. Wahrscheinlich hätte ihm mal jemand ein Motörhead-Ticket schenken sollen...

       Frido Manns Buch jedenfalls ist eine schnelle, gut lektorierte Neuauflage zu wünschen, vielleicht auch mit einem Namensregister (das hat man sich leider auch erspart). Und wie sonst auch sollte es eine Rückruf- und Umtauschaktion geben: Wer das Mängelmodell gekauft hat, kriegt kostenlos ein verbessertes Exemplar. Das wäre die angemessene Reaktion.

 

frido mann titel

 

Frido Mann, An die Musik. Ein autobiographischer Essay. Fischer-Taschenbuch, 2015. Zuerst erschienen im Diederichs-Verlag, München. 332 Seiten, 10.99 Euro.