Neulich habe ich auf Facebook einen dieser neumodischen Oberschlauberger gesehen, die außer ihrem sogenannten „heiligen Buch“ noch nie was anderes studiert haben. Er behauptete, die Erde drehe sich nicht, sondern „stehe still“, und „bewies“ diese Behauptung mit einem wassergefüllten Plastikschälchen, das fest verschweißt war und das er auf sein Pult fallen ließ. Da der Mann kein Englisch sprach, konnte ich seine Aussage allerdings nur in einer übersetzten Zusammenfassung und nicht in allen ihren rhetorischen und argumentativen Feinheiten verfolgen.

Allerdings fiel mir bei der ganzen Szene folgendes auf:

  • Der Mann (natürlich ein Mann, nur Männer sind zu solchen Idiotien fähig) trug eine BRILLE. Die Entwicklungsgeschichte der Brille begann, wenn ich mich nicht irre, vor mehreren hundert Jahren. Man musste dazu etwas ERFINDEN: geschliffene Linsen; Galilei und Huygens taten das.

  • Er sprach in ein MIKROFON. Auch die Entwicklungsgeschichte des elektrischen Stroms ist mehrere Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende alt; das Teilgebiet der Elektroakustik, deren sich der feine Herr bediente, gar nur rund hundertfünfzig. Mikrofone, Lautsprecher, Verstärker für die Beschallung öffentlicher Räume sind ein Kind des 20. Jahrhunderts. Womöglich war es sogar ein Funkmikro (weiß ich jetzt nicht mehr), dann haben wir eine ganz junge Errungenschaft vor uns, die am Ende einer langen Kette von Entwicklungsschritten steht.

  • Das Ganze wurde gefilmt von einer elektronischen KAMERA. Wieder haben wir eine sehr junge Entwicklung vor uns, die erst möglich war, nachdem es Linsen gab; nachdem die Fotografie mit ihrem belichtbaren Filmmaterial erfunden war; nachdem das Prinzip des bewegten Films mit seinen 24 Bildern pro Sekunde samt der dazugehörigen Maschinerie erfunden war (Anfang des 20. Jahrhunderts dto.); nachdem der Riesenschritt zur elektronischen Bildröhre geschafft war, sodass man nicht mehr auf Film belichten musste (die „Sportschau“ tat das anfangs noch!)

  • Ich sah diese Sternstunde menschlicher Intelligenz auf FACEBOOK, einem Internetmedium, wie ihr alle wisst, das es erst seit ein paar Jahren gibt, weil zuvor der Computer und die Programmiersprachen erfunden werden mussten; wozu dann die Computer immer kleiner werden mussten, wozu man als erstes die Transistoren brauchte (statt der Röhren) und dann die integrierten Schaltkreise; wozu man schließlich auf die Idee kommen musste, Computer miteinander zu verbinden, und alles restliche Zubehör dazu ebenfalls erfinden musste.

  • Die Facebook-Seite kam auf meinen Laptop mittels W-LAN – wie ihr sicher wisst, eine hoch-raffinierte Anwendung der Funktechnologie. Radio und Funk sind Kinder des 20. Jahrhunderts. Viele Entwicklungsschritte waren nötig, um dahin vorzustoßen; unter anderem eine schlüssige Theorie des Elektromagnetismus (James Clerk Maxwell), von dem ganzen Zubehör ganz zu schweigen.

Die Liga großartiger Männer und Frauen, die in Jahrhunderten mühseliger Kleinarbeit all das geleistet haben, was ich hier eben mal schnell und lückenhaft zusammenfassen durfte, haben auch (so quasi nebenbei) das kopernikanische Weltbild und die Erdrotation entdeckt. Ein Herr Foucault hat mit einem Pendel ein Experiment gemacht, das sie einem anschaulich vor Augen führt (es ist ein wenig komplizierter, als einen Behälter auf den Tisch fallen zu lassen).

Und dann kommt also so ein Vollpfosten, geistig auf Kleinkind-Niveau, und erzählt mir einen vom Kamel. Offensichtlich meint er, all die technischen Dinge vor seiner Nase, die ich eben erwähnt habe, seien „einfach so da“, naturgegeben, gottgeschenkt. Er sieht sie gar nicht, geschweige denn, dass er über sie nachdenkt. Die gigantische menschliche Intelligenzleistung, die zu ihnen geführt hat, ist für ihn gar nicht da. Für ihn ist nur sein sogenanntes „heiliges Buch“ da. An das glaubt er, wie ein Dreijähriger ans Christkind.

Wovor ich Angst habe: Dass wir anderen auch dran glauben müssen.