Ich habe heute einen Aufsatz meiner Jüngsten gelesen. Sie musste über eine Kolumne von Martenstein eine "textgebundene Erörterung" schreiben. In der Kolumne sprach Martenstein über den Wahn, junge Leute müssten ihr Leben durchplanen, zielstrebig Karriere machen, Praktika und Auslandsaufenthalte machen, bitte ja studieren und nicht womöglich Schreiner werden und so weiter. Er hielt dagegen, junge Leute sollten sich Zeit nehmen für sich, herausfinden, was sie wirklich wollen, offen sein für Neues und tun, was ihnen Spaß macht - das allerdings mit Beharrlichkeit und Zähigkeit.

Meine Tochter konnte diese Thesen gut referieren. Nur bei der kritischen Auseinandersetzung mit ihnen wusste sie nicht so viel zu sagen. Wie sollte sie auch, sie ist noch nicht mal siebzehn und hat kaum Lebenserfahrung. Wie soll sie wissen, was daran richtig und was daran falsch ist? Aber natürlich wurde diese fehlende kritische Auseinandersetzung von der Lehrerin bemängelt und führte zu Punktabzug.

Ich weiß nicht, ob der Lehrerin die Absurdität der ganzen Angelegenheit aufgefallen ist. Mir stach sie förmlich ins Auge. Denn genau das war ja der springende Punkt von Martensteins Text: Wir verlangen von unserem Nachwuchs Unmögliches. Wir verlangen, dass unsere Heranwachsenden etwas schon wissen, was sie erst - in Ruhe und angemessenem Tempo! - lernen und erfahren dürfen sollten. Aber nein, der pubertierende oder adoleszierende Mensch hat das gefälligst alles schon zu wissen!

Und ein Trend dieser Art zeichnet sich in allen Gymnasialfächern ab. Aus dem Gymnasium ist eine absurde Überforderungsmaschine geworden. Was den jungen Menschen damit angetan wird - was juckt es unsere Bildungsplaner? Hauptsache, mit siebzehn Abitur, um dann auf einem heillos überfüllten Akademiker-Arbeitsmarkt zu landen. Wozu die ganze Chose in Bewegung geht, wozu diese hyperintellektuelle Hektik veranstaltet wird - interessiert es einen Bildungspolitiker? (Wobei man fairerweise zugeben muss, dass Eltern und auch Kinder selbst von diesem Wahn infiziert sind.)

Ich kann nur, mit Martenstein, allen Heranwachsenden sagen: Findet heraus, was Euch wirklich, wirklich Spaß macht. Und da kniet euch rein. Aber richtig. Vergesst Karriere und den ganzen Mist, der funktioniert eh bald nicht mehr. Bald kommen die Roboter und machen uns überflüssig, dann wird es wichtig, dass in eurem Garten was wächst, was man essen kann.