Derzeit werden wieder Stimmen laut, die fordern, dass das älteste Gewerbe der Welt, die Prostitution, bekämpft und ausgetrocknet werden soll. Dazu sollen vor allem die Freier, also die Kunden sexueller Dienstleistungen, bestraft werden. Vorbild ist hierbei Schweden. Ein Hauptargument ist, dass das Geschäft mit dem Sex, wie es sich derzeit präsentiert, in großem Maße Menschenhandel, Ausbeutung und generell menschenunwürdige Verhältnisse fördert, was nicht weiter hingenommen werden dürfe.

Während das natürlich unbestreitbar richtig und ehrenwert ist, ist es trotzdem ein verqueres und verfehltes Argument. Um hier gleich Caitlin Moran zu bemühen, eine brillante englische Kolumnistin und Feministin, die ich für das Folgende hier als Kronzeugin zitieren möchte: „Sex-trafficking is not inherent to prostitution“, Prostitution geht nicht zwingend mit Menschenhandel einher. Moran zieht in einer Kolumne (Quellenangabe siehe unten) zum Vergleich das Mode-Business heran: „Teile des Mode-Business beruhen auf Menschenhandel und Sklavenarbeit. Aber niemand würde auch nur eine Sekunde fordern, dass wir das gesamte Mode-Business für illegal erklären sollen – stattdessen setzen wir uns einfach für die Menschenrechte ein.“

Ich würde das Fleisch-Essen zum Vergleich heranziehen. Für selbiges könnte man analog formulieren: Es ist nicht zwingend mit dem Skandal der Massentierhaltung verknüpft. Wäre es so, dann müsste, der gleichen Logik folgend, zum Beispiel das Fleisch-Essen sofort geächtet und bestraft werden. Jeder, der sich eine Wurst oder ein Steak besorgt (das müsste dann natürlich zwangsläufig bei einem illegaler Anbieter erfolgen), würde Gefahr laufen, angezeigt oder entdeckt und bestraft zu werden. Und es würde sich nicht um eine bloße Ordnungswidrigkeit handeln, nein: legt man die Vorstellungen der Prostitutionsgegner*innen zugrunde, wäre es ein ernstes Vergehen, würde nicht nur Geldbußen, sondern womöglich Gefängnis nach sich ziehen.

Das würde übrigens bedeuten, dass, wie bei der Prohibition in Amerika in den 20er Jahren, die betreffenden Branchen in die Illegalität wandern, kriminalisiert werden, dadurch wiederum organisierte Kriminalität gestärkt und gleichzeitig alle Standards, was die „Produktionsprozesse“ und die Qualität der verkauften „Ware“ oder „Dienstleistung“ angeht, geopfert werden – mit allen Risiken, die damit einhergehen. Von der Prohibition ist bekannt, dass Tausende an giftigem oder gepanschtem Sprit gestorben sind; mein Kronzeuge hierfür ist Bill Bryson, der diesem unseligen Kapitel der US-Geschichte in seinem Buch „1927“ großen Raum widmet und dabei mit deutlichen Worten nicht spart: „Sie war mit Abstand das extremste, hirnverbrannteste, kostspieligste und am meisten ignorierte sozialtechnische Experiment, das eine ansonsten rational denkende Nation je durchgeführt hat.“ Wie übrigens auch beim Kampf gegen andere Drogen würden in einem nicht zu gewinnenden „Krieg“ wieder immense Ressourcen verschwendet – beziehungsweise im Endeffekt darauf verwendet, das Problem noch größer zu machen, als es sowieso schon ist.

Der Vergleich mit dem Fleisch-Essen zeigt meines Erachtens die ganze Absurdität eines solchen Vorstoßes auf. Natürlich kann man es moralisch anrüchig finden, Fleisch zu essen oder sich Sex zu kaufen. Wenn man aber nicht das puritanische, hypermoralische Ideal durchsetzen will, dass Menschen kein Fleisch mehr essen und das älteste Gewerbe der Welt nicht mehr in Anspruch nehmen sollen, sondern wenn man Begleiterscheinungen wie quälerische Massentierhaltung und quälerischen Umgang mit Sexarbeiter*innen beenden will: Dann sollte man sich darauf beschränken und das – und nur das! – angehen. Das wäre im Endeffekt nicht nur klüger, sondern auch weiser. (Und billiger.)

Man kann ja eine Menge Dinge moralisch anrüchig finden, wo etwas Immaterielles wie Liebe oder Freude gegen Geld getauscht wird. Ich zum Beispiel lasse mich als Musiker für Parties engagieren. Ich spiele stundenlang Musik, um andere zu erfreuen (und kann das auch!), aber primär nicht aus einem ehrenwerten altruistischen Grund, sondern primär deshalb, weil ich dafür Geld bekomme. Das verpflichtet mich auch dazu, zum Termin zu erscheinen, auf der Matte zu stehen und meinen Vertrag einzuhalten, egal, ob ich in Stimmung bin oder nicht, ob mir die Leute sympathisch sind oder nicht. Das ist Professionalität. Gleiches gilt für Fußball- oder andere Profis. Warum es für Sexarbeiter*innen nicht gelten soll, ist rational nicht begründbar.

Caitlin Moran zählt eine Menge Beispiele auf, wo wir uns Dienstleistungen kaufen, die der Sexarbeit vergleichbar sind und die wir heute, mit unserem modernen Bewusstsein, völlig okay finden: „Es ist sozial völlig akzeptabel – nein, sogar erwünscht –, wenn eine Frau einen Schönheitssalon betritt und sich von jemandem, den sie nie zuvor gesehen hat, vermittels Wachs die Schamhaare am Anus entfernen lässt. Dabei gilt es als höflich, angeregt über das Wetter und sonstige Belanglosigkeiten zu plaudern – für mich eine viel abgedrehtere Vorstellung als die, mit jemandem Sex zu haben, der die Unterhaltung lieber auf ein ehrlicheres und schlichteres ‚Ja – ja – fester!‘ beschränken möchte.“

Ist sie nicht wunderbar? Und weiter: „Wir bezahlen Therapeuten, damit sie sich unsere intimsten Geheimnisse anhören; wir bezahlen Leihmütter; wir bezahlen Männer, damit sie Samen für künftige Kinder spenden. Gehört bezahlter Sex in gegenseitiger Einwilligung wirklich in eine ganz andere physische und emotionale Dimension als diese legitimen Formen menschlichen Austauschs? Wir bezahlen Leute, die sich um unser Neugeborenes kümmern, unsere Senioren pflegen und beim Sterben begleiten – und doch ist es von all den Dingen, die Menschen Tag für Tag tun, ausgerechnet der Sex, und nur der Sex, von dem wir meinen, er sei jenseits des Legalen. Jenseits finanzieller Vergütungsmöglichkeiten.“

Mein Fazit deshalb: Der Versuch, Freier und Sexarbeit zu kriminalisieren, würde, wenn er denn Gesetz würde, genauso katastrophal enden wie die Prohibition und der einst von Nixon ausgerufene „Krieg gegen Drogen“. Hier ist Caitlin Morans Gegenvorschlag:

„Macht Sexarbeit legal – schafft eine Welt, wo Frauen ihre eigenen, sicheren und regulierten Bordelle betreiben können, für ihre respektablen rund 48.000 Pfund Mittelschicht-Einkommen Steuern zahlen und angesehen werden als jemand, der einen Job macht, der sozial genauso akzeptabel ist wie der, einer Oma ein sauberes Nachthemd anzuziehen. Solche Frauen weiter zu verstecken und gefangen zu halten, wäre dann nämlich sehr schwierig.“

Caitlin Moran, “Olympic Prostitutes”. In: „Moranifesto“, Ebury Press, London 2016, S. 209 – 212.

Bill Bryson, “1927”. Transworld Publishers, London 2013, S. 222.