Zur Zeit ist ja in der politischen Diskussion um Corona immer wieder von „Narrativen“ die Rede. Die gebildete Hochnäsigkeit gewisser Meinungsbildner bedient sich dieses (aus den Sozialwissenschaften entlehnten) Terminus meistens, um Deutungsmuster, vor allem „verschwörungstheoretische“, zu entlarven. Wichtig ist dabei natürlich, dass solche „Narrative“ nur die anderen haben, die politischen Gegner. Ihnen will man ja nachweisen, dass sie auf etwas reingefallen sind, aber zu blöd sind, es zu merken. Man selber ist natürlich viel schlauer und folgt natürlich keinem Narrativ, sondern nur der reinen, lauteren, objektiven Wahrheit. Diese Grundannahme erfolgt unbewusst und bleibt im Impliziten verborgen, da es viel zu gefährlich wäre, wenn man sie thematisieren würde: „Oh Gott! Folgen wir Corona-Gläubigen vielleicht auch einem Narrativ? Und wenn ja, wie könnte es aussehen?!“ Nicht fragen! Viel zu gefährlich! (Gut, man würde dann endlich einmal beginnen, die eigenen, uneingestandenen Glaubenssätze selbstkritisch zu reflektieren, und dann würde man vielleicht merken, dass man selber auch nicht ohne Narrativ auskommt. Womöglich würde man merken, dass „storytelling“, definitorisch: „sinnstiftende Erzählungen für eine Gruppe oder Kultur“, also Weltdeutung durch Geschichten, etwas Uralt-Menschliches, neurologisch fest Verdrahtetes und für uns menschliche Wesen absolut Lebensnotwendiges ist. Und womöglich würde man dann vielleicht sogar mit anderen menschlichen Wesen, die die eigene Meinung nicht teilen, wieder ins Gespräch kommen. Igitt!)

Nein! Bitte nicht! Einfach immer weiter so tun, als sei man der einzige Vertreter der „objektiven“ Wahrheit! Und alle Hinweise abschmettern, man folge ebenfalls einem Narrativ! Dem von der großen, singulären Katastrophe nämlich, in der wir nun alle zusammenhalten müssen; die uns in der Not endlich alle wieder vereint, „ohne Ansehen der Person“, in begeisterter Solidarität; wo keine kleinlichen Bedenken mehr gelten; wo es, um das Diktum eines deutschen Kaisers abzuwandeln, der uns herrlichen Zeiten entgegenzuführen versprach, „keine Parteien mehr gibt, sondern nur noch Infizierte“; wo jeder sein Opfer bringen muss; wo die angeblichen wissenschaftlichen & sonstigen „Eliten“ und unsere kampferprobte Obrigkeit schon wissen, was zu tun ist, und wir uns besser nicht einmischen! In Dinge, die uns nichts angehen & die wir sowieso nicht beurteilen können! Einfach wieder in das gute alte Narrativ der deutschen Geschichte des vergangenen Jahrhunderts einklinken! Ist ja schließlich jedes Mal gutgegangen! Wir gehorchen und halten zusammen – bis in den Untergang.

Der ist allerdings kein Narrativ, der ist blutige, dreckige, ekelhafte Wirklichkeit. Aber so ist es eben, wenn man das eigene Narrativ nicht hinterfragt, sondern für die pure „Wahrheit“ hält und gutgläubig jedem folgt, der es predigt. So ist es eben, wenn man nicht misstrauisch ist. So ist es eben, wenn man sich nicht querstellt und nicht selbständig denkt! Was ist nur aus der Aufklärung geworden – gab es sie jemals? Jahrhunderte gehen ins Land, und es ist immer noch so wie zu Kants Zeiten? Wir haben ja Experten, Virologen, Epidemiologen, Politiker und mediale Lautsprecher, also brauchen wir, wie damals Kant diagnostizierte, „uns selber ja nicht mehr zu bemühen“. Kein Interesse mehr, aus der „selbstverschuldeten Unmündigkeit“ aufzuwachen. Aber beschwert euch bloß nicht hinterher. Mitgefangen, mitgehangen. Heul doch!